Apotheken-Reformgesetz: Stagnierende Honorare, Apotheken ohne Apotheker?

Wie wirken sich die beschlossenen Maßnahmen aus? Wird der angekündigte Effekt einer Stärkung versorgungs­relevanter (Land-)Apotheken tatsächlich eintreten?

23. August 2024
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Mitte Juni 2024 hat das Bundesgesundheitsministerium den Referentenentwurf für ein Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) vorgelegt. Eine überarbeitete Fassung soll nun Ende August vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Die geplanten Maßnahmen lassen sich wie folgt einteilen:

  • Honorar-Änderungen
  • Strukturelle Anpassungen bei Apotheken
  • Erweiterung des Leistungsspektrums und Entbürokratisierung

1. Honorar-Änderungen

Geplant ist eine Umverteilung der Honorare »1:1« durch Anhebung des Festzuschlages auf Rx-Packungen einerseits – er wird zum 1. Januar 2025 auf 8,66 Euro und zum 1. Januar 2026 auf 9,00 Euro angehoben – und andererseits durch eine simultane Absenkung der prozentualen Vergütung zunächst auf 2,5 und dann auf 2,0 Prozent. Dadurch sollen Honorare von den höherpreisigen Arzneimitteln umgeleitet werden hin zu normal- und niedrigpreisigen Packungen. Dort, so die Unterstellung, erreichen sie vor allem versorgungsrelevante Apotheken in der Fläche.

Ab 2027 soll das Apothekenhonorar zum jährlichen Verhandlungsgegenstand zwischen GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) werden. Als Leitplanken für die Verhandlungen sollen die Entwicklungen der Grundlohnsumme und des Verbraucherpreisindex, aber auch der »Versorgungssituation zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung« Berücksichtigung finden. Eine Schiedsstelle soll bei Nichteinigung bis zum 30. Juni des Vorjahres binnen acht Wochen die Vereinbarung festsetzen.

Der Notdienstzuschlag soll um 30 Prozent angehoben werden, die Finanzmittel dafür werden allerdings durch eine Senkung des Zuschlags für pharmazeutische Dienstleistungen gegenfinanziert.

Keine unmittelbare Folge der Reform, sondern bereits Gesetz: Der Apotheken-Abschlag je GKV-Rx-Packung    sinkt ab Februar 2025 wieder auf 1,77 Euro brutto je Rx-Packung.

Auch keine Honorarmaßnahme, aber ebenfalls unmittelbar rohgewinnwirksam: Als Reaktion auf das BGH-Skontourteil (vgl. dazu TH Aktuell 2/2024) wird die Gewährung von handelsüblichen Skonti über die 3,15 Prozent Großhandelsspanne hinaus durch eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung wieder zugelassen.

Doch wie wirken sich diese Maßnahmen aus? Wird der angekündigte Effekt einer Stärkung versorgungsrelevanter (Land-)Apotheken tatsächlich eintreten? Und: Kann die Reform das Apothekensterben (Trend 2024: -3,2 Prozent) stoppen?

Die Analyse unserer Experten liefert ein ernüchterndes Bild: Die beschriebene »1:1 Anpassung« von Fixzuschlag und Prozent-Zuschlag wird im Durchschnitt zwar erreicht. Für die meisten Apotheken ergeben sich minimale Rohgewinnverbesserungen. Etwa die Hälfte davon wird jedoch durch die (ohnehin geplante) Absenkung des Kassenabschlags erzielt. Jenseits von Effekten durch ein Mengen- und Preiswachstum stellt sich die Situation wie folgt dar:

Für die »Durchschnitts-Apotheke« beträgt der Rohgewinnzuwachs für die Jahre 2025 und 2026 im Schnitt etwa 8.000 Euro (Abb. 1 Durchschnitts-Apotheke). Hält man sich vor Augen, dass nach dem neuen Apothekentarif sich allein die Personalkostensteigerungen auf annähernd 32.000 Euro im Jahr 2026 summieren (vgl. dazu unseren Beitrag in diesem Heft), zeigt sich, dass die Reform keinesfalls ausreicht, um erwartete Kostensteigerungen der nächsten Jahre (geschweige denn Vorjahre) zu kompensieren. 

Auch die Förderung der Land-/Dorfapotheken als – zumindest erklärtes – Ziel der Reform misslingt: Da die Umsatzstruktur sich wenig von der des Durchschnitts unterscheidet, erzielten diese nach den Reformplänen ganze 900 Euro p. a. oder 2,47 Euro pro Tag. (Abb. 2. Dorfapotheken)

Doch während diese Betriebe in geringem Maße besser gestellt werden als der Durchschnitt, gilt dies ausgerechnet für die existenzbedrohten ergebnisschwachen Apotheken des unteren Drittels nicht. Die hier meist geringeren Packungszahlen lassen sie weniger profitieren als andere.

Ein weiterer Effekt gibt Anlass zur Sorge: Hochpreisige Arzneimittel verlieren bis zu einem Drittel an Rohgewinn, spezialversorgende Apotheken damit stark an Ertrag. Hier stellen sich ab 2026 Rohgewinnverluste ein. Da diese Apotheken zugleich die höchsten Kostensteigerungen erwarten und hier in der Regel hohe Vorfinanzierungsaufwände die Erträge schmälern, wird diese Versorgung deutlich weniger attraktiv. Welche Auswirkungen das auf das Versorgungsangebot in diesem Segment haben wird, ist derzeit nicht abschätzbar. (Abb. 3. Übersicht über alle Apotheken)

Zusammenfassend ist damit die Honorarreform unge­eignet, um die Versorgungslage der Apotheken zu stabilisieren.

2. Strukturelle Anpassungen bei Apotheken

Die berufspolitisch höchste Sprengkraft hat die im Gesetzentwurf vorgesehene Abkehr von der apothekerlichen Präsenzpflicht in der Apotheke.

Der Apothekeninhaber soll künftig die Möglichkeit erhalten, die Leitung aller künftig bis zu sechs Betriebe des Filialverbundes selbst zu übernehmen, das heißt neben der Hauptapotheke von drei Filialen und (neu) zwei Zweigapotheken. Er kann die Leitung aber wie bisher auch auf einen oder (neu) zwei Apothekerinnen oder Apotheker übertragen. In den Apotheken muss nicht mehr ständig, sondern nur acht Stunden pro Woche ein Apotheker anwesend sein. Die Apotheken dürften vielmehr auch geöffnet und betrieben werden, wenn eine erfahrene, von der Aufsichtspflicht befreite PTA anwesend ist. In diesem Fall muss ein Apotheker des Filialverbundes aber für Rücksprachen mit der PTA und den Patienten per Videoschalte (»Tele-Pharmazie«) zur Verfügung stehen. Aufsichtspflichtige Tätigkeiten wie etwa die Betäubungsmittelabgabe sind dann jedoch nur in dringlichen Fällen und unter besonderen Voraussetzungen trotz Abwesenheit eines Apothekers zulässig.

Außerdem müssen Filialen künftig nicht mehr in demselben oder einem benachbarten Kreis gelegen sein; eine Entfernung von bis zu drei Autostunden ist nach der Gesetzesbegründung möglich. Dies gilt für Neugründungen ebenso wie für Übernahmen bestehender Betriebe.

Zweigapotheken sollen zugelassen werden, um in unterversorgten Regionen die Arzneimittelversorgung zu gewährleisten. In »Orten oder Ortsteilen mit eingeschränkter Arzneimittelversorgung« soll künftig ein Anspruch auf Genehmigung einer Zweigapotheke bestehen, die geringeren Anforderungen unterliegt als ein Filialbetrieb. Das gilt zum einen räumlich. So kann auf Rezeptur und Defektur verzichtet werden, wenn diese über den Filialverbund sichergestellt sind. Zum anderen ist eine Reduzierung der Öffnungszeiten auf nur vier Stunden täglich möglich. Identitätsprüfungen von Arzneimitteln und Ausgangsstoffen müssen zudem nur noch in einer Apotheke pro Filialverbund erfolgen.

Der Bundesgesundheitsminister sieht als Vorteil dieser Regelungen einen Erhalt von Apotheken in der Fläche. Ob dies allerdings der Fall ist, erscheint zweifelhaft: Zwar können diese Änderungen für manche Apotheken wirtschaftlich interessant sein, um Kosten zu reduzieren und Personalengpässe zu überwinden. Gerade für ergebnisschwache Filialbetriebe (das untere Drittel erzielt durchschnittlich ein negatives Betriebsergebnis von -32.500 Euro) aber reicht dies nicht einmal aus, um die Null-Linie zu erreichen. Umgekehrt drohen andererseits deutliche Verwerfungen, etwa durch Verzerrungen im Wettbewerb um attraktive Standorte und ein Qualitäts-Downsizing, das am Ende auch die Rolle der freiberuflich inhabergeführten Apotheke in Frage stellen kann.

3. Erweiterung des Leistungsspektrums und Entbürokratisierung

Apotheken sollen ab 2025 neben Grippeschutzimpfungen und Schutzimpfungen gegen das Corona-Virus nahezu alle Impfungen mit »Totimpfstoffen« an ihre erwachsenen Kunden verabreichen dürfen. Die Vergütung hierfür muss noch ausgehandelt werden.

Überdies wird Apothekern und pharmazeutischem Personal künftig die Anwendung von In-vitro-Diagnostika, die für patientennahe Schnelltests bei Testungen auf das Adenovirus, Influenzaviren, das Norovirus, Respiratorische Synzytial-Viren und das Rotavirus verwendet werden, gestattet. Schnelltests auf HIV, das Hepatitis-C-Virus, SARSCoV-2 und Treponema pallidum sollen auch durch nichtpharmazeutisches Personal angewendet werden dürfen.

Öffnungszeiten: Apotheken dürfen zukünftig weniger lang öffnen: montags bis freitags (mindestens 7 Stunden), sonnabends (mindetens 4 Stunden) plus festgelegtem Notdienst; Zweig-Apotheken nur 4 Stunden alle Tage. In bestimmten Kammerregionen gab es hier schon Lockerungen, insofern wird damit nur ein teilweise schon praktizierter Status aufgegriffen.

Betäubungsmittel müssen nicht mehr verschlossen gelagert werden, künftig soll auch eine Lagerung in Kommissionierautomaten möglich werden. Behörden sollen Stichproben machen, um sich weiterhin die separaten Bestands- und Nachweisinformation anzusehen zu können.

Weiteren Berufsgruppen mit geeigneter Ausbildung soll es ermöglicht werden, für bestimmte unterstützende Tätigkeiten in der Apotheke beschäftigt zu werden. Zudem sind Anpassungen in der Arzneimittelabgabe formuliert, die den Austausch und Teilmengen betreffen.

Dieser Teil der Reformpaketes umfasst einige Neuerungen, die bei entsprechender Ausgestaltung auch wirtschaftlich positive Effekte haben können: Die neuen Kompetenzen im Bereich Impfungen und Schnelltests korrespondieren sehr gut mit dem heilberuflichen Charakter der Apotheke als niedrigschwelligem Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen und sind geeignet, ihre Rolle in der Versorgungskette aufzuwerten. Entscheidend für den Erfolg dieser Maßnahmen wird aber sein, ob es gelingt, hierfür auskömmliche Vergütungen auszuhandeln. Auch wenn dies gelingt, wird dies aber ein Beitrag bleiben, der eine auskömmliche Finanzierung des pharmazeutischen Basisgeschäfts – Abgabe und Beratung – nicht entbehrlich macht. Solange hier brauchbare Ansätze fehlen, bleibt der Apothekensektor gefährdet.

Laut Referentenentwurf ist explizit keine Zustimmung durch den Bundesrat vorgesehen. Das Gesetz soll am Tag nach Veröffentlichung in Kraft treten, was voraussichtlich erst Ende 2024 sein könnte. Die erste Stufe des Honorarumbaus soll zum 1. Januar oder 1. April 2025 wirksam werden, die zweite Änderung zum 1. Januar 2026.