Aktuelle Entwicklungen des Arbeitsrechts

Vertretungsapotheker und Arbeitszeiterfassung – welche arbeitsrechtlichen Entwicklungen gibt es in der Personalplanung?

07. März 2024
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Wir halten Sie auf dem Laufenden: Flexible Personalplanung wird in Zeiten des akuten Fachpersonalmangels zunehmend wichtiger. Wie sieht es rechtlich mit dem Einsatz von Vertretungsapothekern aus und was gibt es Neues zum Thema Arbeitszeiterfassungspflicht?

Teil 1: Vertretungsapotheker – Selbständige oder befristet angestellte Arbeitnehmer?

Vertretungsapotheker prägen seit vielen Jahren die Apothekenlandschaft. Sie springen bei kurzfristigen Personalengpässen ein oder vertreten entweder den Inhabenden oder ein Teammitglied in dessen Abwesenheit. Der Einsatz von Vertretungsapothekern ist jedoch mit Unsicherheiten behaftet, weil die Einordnung als Selbständiger oder als Arbeitnehmer einerseits einzelfallabhängig ist, das Rechtsverhältnis zugleich aber steuerlich und sozialversicherungsrechtlich korrekt erfasst werden muss. 

Arbeitsrechtliche Einordnung
Ob der Vertrag mit einem Vertretungsapotheker als Arbeitsverhältnis oder als (sogenanntes »freies«) Dienstverhältnis zu werten ist, hängt davob ab, ob der Vertretungsapotheker zur Leistung weisungsgebundener, fremd­bestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Weisungsgebunden arbeitet, wer seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht frei gestalten oder seine Arbeitszeit nicht frei bestimmen kann. Abgegrenzt wird das Arbeitsverhältnis vom Dienstvertrag mit einem Selbständigen daher durch die Frage, ob der Auftraggeber durch ein Weisungsrecht den Inhalt (was wird getan), die Durchführung (wie wird etwas getan), die Zeit (wann wird etwas getan), die Dauer (wie lange wird etwas getan) und den Ort (wo wird etwas getan) einer Arbeitsleistung näher bestimmen kann. Der Arbeitnehmereigenschaft steht deshalb nicht entgegen, dass der Arbeitgeber gar nicht in der Lage ist, Anweisungen hinsichtlich der zu leistenden Arbeit zu erteilen, da die prinzipielle Befugnis genügt. Vollkommen unerheblich ist, wie die Vertragsparteien das Vertragsverhältnis benennen oder es zunächst einordnen. Zudem ist der Dienstverpflichtete an eine ursprüngliche Einschätzung nicht gebunden; er darf sich also durchaus eines besseren besinnen und später geltend machen, doch Arbeitnehmer gewesen zu sein. 

Gerade weil Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich ein breites Spektrum bilden, wird zur Abgrenzung zusätzlich gefragt, ob der Dienstverpflichtete dazu berechtigt ist, im Rahmen der Vertragsdurchführung einzelne Aufträge abzulehnen.

Wichtig ist die Abgrenzung zunächst, weil Dienstverträge mit Selbständigen ohne Einhaltung einer bestimmten Form abgeschlossen werden können (beispielsweise mündlich oder per E-Mail). Die Befristung eines Arbeitsvertrages (nicht jedoch der Arbeitsvertrag an sich) muss jedoch zwingend schriftlich vereinbart werden, und ab der zweiten befristeten Anstellung muss zudem ein Befristungsgrund vorliegen – sonst ist die Befristung unwirksam. Von zentraler Bedeutung ist die Abgrenzung beispielsweise auch für die Fragen, ob Urlaubsansprüche bestehen und welche Höchstarbeitszeiten gelten.  
Vertretungsapotheker können also ohne Rechtsnachteile einen Sinneswandel erklären und innerhalb einer Frist von bis zu drei Wochen nach Ende der Vertretung vor dem 
Arbeitsgericht geltend machen, sie seien in Wirklichkeit 
Arbeitnehmer gewesen und ihr Vertrag nie ausgelaufen. 

Sozialversicherungspflicht
Die Sozialversicherungspflicht besteht für jeden, der einer »Beschäftigung« nachgeht. Unter diesen Begriff fällt zwar insbesondere das Arbeitsverhältnis, aber auch jede andere Form von nichtselbständiger Arbeit. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer »Beschäftigung« sind primär die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. 

Ein Tätigwerden nach Weisungen besteht – wie beim Arbeitsverhältnis – bei einer Unterwerfung unter ein fremdes Direktionsrecht. Gerade bei Dienstleistungen höherer Art, also insbesondere von Akademikern, tritt es jedoch in den Hintergrund. Das entscheidende Kriterium ist daher vielmehr, ob jemand in die Arbeitsorganisation eines Betriebsinhabers eingegliedert ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn sich die vereinbarte Arbeit in einer dem »Betriebszweck dienenden oder ihm untergeordneten Tätigkeit« erschöpft. 

Daneben gibt es weitere Kriterien, die für oder gegen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sprechen. Hierzu gehören:

Unerheblich ist auch hier, ob ein Vertrag als »Arbeitsvertrag« oder als »Dienstvertrag« bezeichnet wird, ob jemand sozial »schutzbedürftig« ist oder ein Gewerbe angemeldet hat oder nicht. 

Sozialversicherungspflichtig »beschäftigt« sind daher nicht nur Arbeitnehmer, sondern beispielsweise auch »arbeitnehmerähnliche Personen«. In diese Kategorie fallen Menschen, die im Rahmen einer Tätigkeit von dieser wirtschaftlich abhängig und damit einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sind. Sie werden im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages überwiegend für einen Auftraggeber tätig und müssen die geschuldete Arbeitsleistung entweder ausschließlich persönlich oder im Wesentlichen ohne Mitarbeit eigener Arbeitnehmer erbringen. Ist eine Person gleichzeitig für mehrere Auftraggeber tätig, dann gilt sie als »arbeitnehmerähnlich«, wenn die Tätigkeit für einen Vertragspartner den Schwerpunkt bildet und die daraus fließende Vergütung die Existenzgrundlage darstellt. Dabei sind mehrere nacheinanderfolgende Vertragsverhältnisse stets für sich zu prüfen. 

Fazit
Verkompliziert wird die Situation durch eine Vielzahl zur Prüfung und damit auch Einordnung berufener Institutionen, deren Entscheidungen einander nicht binden – weil diese mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten arbeiten. Gerade weil die Sozialversicherungspflicht nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch »arbeitnehmerähnliche Personen« erfasst, zu denen auch umsatzsteuerpflichtige Solounternehmer zählen können, gibt es den »sozialversicherungs- und umsatzsteuerpflichtigen Soloselbständigen«. Der Autor hat diese Konstellation und die damit verbundenen Schwierigkeit in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren bereits erlebt. 

Teil 2: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Als der Europäische Gerichtshof im März 2019 die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedsländer zum Erlass von Gesetzen für Arbeitgeber festhielt, durch die aus Gründen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes Arbeitgeber zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten zu verpflichten seien, passierte in Deutschland zunächst nichts. Die Kommentatoren waren sich zwar einig, dass Deutschland diese Pflicht bislang noch nicht umgesetzt hatte. Damit bestand aber auch Konsens darüber, dass bis zur Einführung eines solchen Gesetzes Arbeitgeber noch nicht zur Zeiterfassung verpflichtet seien. Als das Bundesarbeitsgericht im Rahmen eines Beschlusses am 
13. September 2022 festhielt, dass Arbeitgeber schon durch das bestehende Arbeitsschutzgesetz zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet seien, war die Überraschung groß. 

Aktueller Stand der Arbeitszeiterfassungspflicht
Denn diese Entscheidung hatte niemand kommen sehen. Schnell war vom »Stechuhr-Urteil« die Rede. Dabei blieb der Inhalt der Entscheidung vage. Arbeitgeber seien dazu verpflichtet, »ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden« erfasst werden könnten. Das System müsse »objektiv, verlässlich und zugänglich« sein, gleichzeitig käme dem Arbeitgeber bei der Auswahl ein »Spielraum« zu. Arbeitgeber dürfen »bei ihrer Auswahl die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – berücksichtigen«. 
Gerade weil die zitierten, vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Regeln zur Arbeitszeiterfassung vage blieben, versuchte der Gesetzgeber, durch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes Klarheit zu schaffen. Ein Ende März 2023 erstellter Gesetzesentwurf blieb auf Referentenebene im Bundesarbeitsministerium stecken – ohne Aussicht auf zeitnahe Umsetzung. Denn das Ministerium wollte über die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts hinausgehen und Arbeitgeber verpflichten, die Arbeitszeiterfassung zwingend elektronisch durchzuführen. Die Daten sollten mindestens zwei Jahre aufgezeichnet und den Arbeitnehmern auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden. Lediglich für Tarifverträge war eine Öffnung vorgesehen – tarifgebundene Arbeitgeber sollten ihre Pflichten auch weiterhin in Papierform erfüllen können. 

Was ist Arbeitszeit?
Für die Erfüllung der Aufzeichnungspflicht müssen Arbeitgeber Arbeitszeit und Nicht-Arbeitszeit zutreffend voneinander abgrenzen. Das Arbeitszeitgesetz enthält hierzu in § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG eine eigene Definition und umschreibt Arbeitszeit »als Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen«

Damit lässt sich im ersten Schritt abgrenzen, was keine Arbeitszeit ist, nämlich Ruhepausen und Ruhezeiten:

  • Als Ruhepause gilt die vorübergehende Unterbrechung der Arbeitszeit von einer bestimmten Dauer, die der kurzzeitigen Erholung dient und im Voraus festgelegt wurde (z. B. Mittagspause, Kaffeepause). Während der Ruhepause darf der Arbeitnehmer weder zur Leistung von Arbeit noch zur Bereithaltung zur Arbeit verpflichtet sein. Arbeitnehmern stehen ab einer täglichen Arbeitszeit von 6 bis zu 9 Stunden 30 Minuten, ab einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden 45 Minuten Ruhepause zu. 
  • Während die Ruhepause die kurzzeitige Unterbrechung während der Arbeit meint, ist die Ruhezeit die Zeit vor dem Antritt und nach dem Ende der Arbeit. 

Gleichzeitig gibt es Zwischenstufen zwischen der »Vollarbeit« (also der Arbeit bei Inanspruchnahme aller Kräfte) und der Ruhezeit, die einer exakten arbeitszeitrechtlichen Einordnung bedürfen: Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft.

  • Arbeitsbereitschaft ist die Anwesenheit am vom Arbeitgeber bestimmten Arbeitsort (meist im Betrieb), um dort gegebenenfalls von sich aus tätig zu werden. Am besten lässt sie sich als Verschnaufpause während der Öffnungszeiten oder der Wartezeit auf Patienten umschreiben. Sie ist als Arbeitszeit zu erfassen, auch wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht arbeitet.
  • Als Bereitschaftsdienst gilt die Zeit, in der der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhält (innerhalb oder außerhalb des Betriebes), um erforderlichenfalls seine Arbeit unverzüglich aufzunehmen, wenn er dazu angewiesen wird. Von der Arbeitsbereitschaft unterscheidet sie sich dadurch, dass der Arbeitnehmer nicht von sich aus tätig werden muss. Während des Bereitschaftsdienstes erbringt der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung, sondern unterwirft sich einer Aufenthaltsbeschränkung. Diese Zeit ist dennoch als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes anzusehen. 
  • Rufbereitschaft ist die Zeit, in der ein Arbeitnehmer für den Arbeitgeber erreichbar sein muss, damit seine Arbeitskraft gegebenenfalls kurzfristig abgerufen werden kann. Während der Rufbereitschaft ist der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Die Zeit der Rufbereitschaft darf der Arbeitnehmer frei gestalten, sich also um persönliche oder familiäre Angelegenheiten kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilnehmen oder Freunde treffen. Dass sich der Arbeitnehmer so weit vom Arbeitsort entfernt oder einer Aktivität nachgeht, deren Einbindung dem Zweck der Rufbereitschaft entgegenläuft, ist für die Abgrenzung ohne Bedeutung. Kann der Arbeitnehmer auf Grund seiner Aktivität den Arbeitsort aber nicht rechtzeitig erreichen, begeht er eine Pflichtverletzung, die gegebenfalls zur Kündigung berechtigt. Rufbereitschaft gilt nach bisherigem Verständnis nicht als Arbeitszeit. 

Teil 3: Altersrentner als Arbeitnehmer

Mit dem voranschreitenden Fachkräftemangel wurde es in den vergangenen Jahren auch für Praxen und Apotheken wichtig, Arbeitnehmer zu halten oder zu gewinnen, die bereits ihre Altersrente beziehen. Um die Einstellung beziehungsweise Beschäftigung von Rentnern ranken sich jedoch viele Mythen, mit denen wir zum Schluss unseres Beitrages aufräumen wollen:

  • »Wenn der Arbeitnehmer in Rente geht, endet das 
Arbeitsverhältnis automatisch.«
    Dieser Mythos hält sich hartnäckig, stimmt aber meistens nicht. Ein Arbeitsverhältnis endet nur dann mit Rentenbeginn automatisch, wenn dies wirksam im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, § 21 TzBfG. Für eine wirksame Vereinbarung kommt es neben der transparenten Formulierung der Bedingung insbesondere auf die Einhaltung der Schriftform an. Mündliche Vereinbarungen sind also unwirksam und beenden das Arbeitsverhältnis nicht. Ebenso wichtig ist es, dass das Arbeitsverhältnis nicht – und zwar nicht einen einzigen Tag – über den Tag des Renteneintritts hinaus fortgesetzt wird. Arbeitet ein Arbeitnehmer trotz gegenteiliger Vereinbarung im Arbeitsvertrag mit dem Renteneintritt weiter, dann wird das Arbeitsverhältnis auf unbefristete Zeit fortgesetzt.
  • »Rentner haben keinen Kündigungsschutz.«
    Auch diese Behauptung hört man immer wieder – sie ist aber gänzlich falsch. Altersrentner, die weiter arbeiten, sind vollwertige Arbeitnehmer. Deren Kündigungsfristen orientieren sich weiterhin am Beginn des Arbeitsverhältnisses. Durch die Fortsetzung über den Renteneintritt hinaus beginnt das Arbeitsverhältnis nicht von Neuem; es gilt vielmehr der Tag der Einstellung. Auch der Übergang zur Teilzeit oder die erneute Reduzierung der Wochenarbeitszeit führt zu keinen neuen Kündigungsfristen. 

Ebenso gibt es keine besonderen Ausnahmen vom allgemeinen Kündigungsschutz oder Sonderkündigungsmöglichkeiten. Sind im Apothekenbetrieb mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des KSchG beschäftigt, dann muss auch für die Kündigung eines Altersrentners durch einen verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Grund gerechtfertigt werden. Ist der Altersrentner schwerbehindert oder einem Schwerbehinderten gleichgestellt, dann bedarf dessen Kündigung unabhängig von der Betriebsgröße zudem der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. 

»Renter kann man flexibel einsetzen.«
Leider falsch. Altersrentner sind wie alle anderen Arbeitnehmer auch mit einem ausreichenden Vorlauf über ihre Arbeitszeiten zu informieren. Auch sie haben Anspruch auf eine verbindliche Wochenarbeitszeit und können weder spontan zur Arbeit gerufen noch einfach gar nicht eingeplant werden, § 12 Abs. 1 TzBfG. Das Recht der »Arbeit auf Abruf« bedeutet gerade kein flexibles Einsatzrecht des Arbeitgebers; vielmehr muss nach den gesetzlichen Vorgaben zwingend die wöchentliche und tägliche Arbeitszeit festgelegt werden. Gibt es keine Festlegung, dann gilt eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart.

Es gibt viele Möglichkeiten in der Personalplanung, aber auch vieles, was es vorher zu bedenken und abzuklären gilt. Haben Sie Fragen? Die Rechtsabteilung der Treuhand 
Hannover hilft Ihnen gerne weiter!